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Geburtsschaden: 830.625,20 Euro

08.07.2024

Mit Urteil vom 04.12.2023 hat das Oberlandesgericht Köln eine Kinderärztin verurteilt, an meinen Mandanten für den Zeitraum 2005 bis einschließlich 2020 einen Pflegemehraufwand in Höhe von 830.625,20 Euro zu zahlen.

 

Der 2005 geborene Mandant wurde von der Kinderärztin im ersten Lebensmonat fehlerhaft behandelt. Er hatte gegen sie bereits ein Urteil erstritten, nach dem die Kinderärztin ein Schmerzensgeld in Höhe von 500.000 Euro zahlen musste. Gleichfalls wurde diese verpflichtet, jeglichen weiteren materiellen Schaden zu ersetzen. Es ist rechtskräftig festgestellt, dass die Kinderärztin den erheblichen Gesundheitsschaden des Mandanten durch grob fehlerhaftes ärztliches Verhalten herbeigeführt hat.

 

Die Eltern verlangen von der Kinderärztin Pflegekosten für die Zeit von Mai 2005 bis 31.12.2020. Ich hatte zwei außergerichtliche Gutachten zur Berechnung des Pflegemehraufwandes eingeholt. Nachdem das Landgericht Köln ein Gutachten eingeholt hatte, der einen Stundenbedarf von 30 Stunden täglich feststellte, hat der Kläger seinen Klageantrag erhöht und um das Jahr 2020 erweitert. Das Landgericht hatte im erstinstanzlichen Urteil einen Pflegemehraufwand in Höhe von 956.373,56 Euro ausgeurteilt.

 

Diesen Betrag hat das Oberlandesgericht Köln im Berufungsverfahren auf 830.625,20 Euro gekürzt. Pflege sei bei verletzungsbedingter Pflegebedürftigkeit als Teil des Anspruchs des Verletzten auf Ersatz eines Mehrbedarfs vom Schädiger auch dann angemessen abzugelten, wenn sie statt von fremden Pflegekräften von den Angehörigen unentgeltlich erbracht würde. Eine solche Hilfeleistung naher Angehöriger dürfe dem Schädiger nach § 843 Absatz 4 BGB nicht zu Gute kommen.

 

Von Eltern in ihrer Freizeit für ihr geschädigtes Kind erbrachte Betreuungsleistungen seien nur dann vermehrte Bedürfnisse des Verletzten nach § 843 BGB, wenn sie sich so weit aus dem selbstverständlich originären Aufgabengebiet der Eltern herausheben würden, dass der entgeltliche Ersatz einer fremden Pflegekraft nicht nur theoretisch, sondern bei vernünftiger Betrachtung als praktische Alternative ernsthaft in Betracht gekommen wäre. Die Höhe des Anspruchs bestimme sich danach, wie der Bedarf in der von dem Geschädigten und seinen Angehörigen gewählten Lebensgestaltung tatsächlich anfalle. Der Schaden habe sich am Nettolohn einer vergleichbaren entgeltlichen Hilfeleistung auszurichten. Er könne aber auch unterhalb der tariflichen Vergütung für eine fremde Hilfskraft liegen, da die Pflege in häuslicher Gemeinschaft gegebenenfalls einen geringeren Zeitaufwand erfordere.

 

Der Senat sei überzeugt, dass der Kläger von Geburt an bis heute eine 24 Stunden umfassende, dauerhafte Beaufsichtigung benötige. Er sei vollständig hilflos, könne weder gehen noch stehen, eine selbständige Fortbewegung oder Lageveränderung wie ein Umdrehen im Bett seien nicht möglich. Er könne nicht selbständig essen, sei harn- und stuhlinkontinent. Es käme ständig zu spastischen Verkrampfungen der Extremitäten, er könne nicht selbständig sitzen. Das Sehvermögen sei erheblich eingeschränkt. Das Hörvermögen ist unklar. Eine gezielte Kommunikation sei nicht möglich. Der Kläger leide an mehrmals täglich auftretenden epileptischen Anfällen unterschiedlicher Schwere. Diese epileptischen Anfälle machten es unmöglich, den Kläger ohne Beaufsichtigung zu lassen, da bei Anfällen ein sofortiges Reagieren erforderlich sei. Das Krankheitsbild bestehe dauerhaft. Über die grundsätzliche Betreuungsbedürftigkeit rund um die Uhr hinaus bestehe bei dem Kläger zusätzlich ein Pflegebedarf in den Bereichen, in denen ein Einsatz von Pflegepersonen erforderlich sei.

 

Die gerichtliche Sachverständige habe hierfür 6 Stunden angemessen gehalten, ohne dies näher zu spezifizieren. Auch der Privatgutachter habe die Anwesenheit einer zweiten Pflegeperson für notwendig gehalten, ohne dies zeitlich zu qualifizieren. Der Senat hat die Stundenzahl in der Baby- und Kleinkindzeit zusätzlich für die zweite Person auf 5 Stunden, in der Kindergartenzeit auf 6 Stunden, in der Schulzeit auf 4 Stunden geschätzt.

 

Es sei nicht erforderlich, ein weiteres Pflegegutachten zur Sachaufklärung einzuholen. Die Schätzung habe der Senat gemäß § 287 ZPO selbst vornehmen können. Abzuziehen seien die Zeiten der Pflege, die auch einem gesunden Kind als Betreuungsbedarf zustünden und hypothetisch für die Eltern als Betreuungszeit angefallen wären. Zwar sei eine ständige Anwesenheit einer Pflegeperson krankheitsbedingt erforderlich. Allerdings könnten nicht alle Stunden, in denen eine Pflegeperson, beim Kläger in der Regel seine Mutter oder sein Vater, anwesend sein, vollständig berücksichtigt werden. Diese seien zum Teil nur als Bereitschaftszeiten anteilig zu berücksichtigen.

 

Bei den Stundensätzen für den Pflegelohn gehe der Senat im Jahre 2005 von einem Stundenlohn für einen Heilerziehungspfleger im Mittelwert von 8,83 Euro bis hin zum Jahre 2020 von 12,89 Euro aus. Von dem so errechneten, für Pflegemehraufwand anfallenden Betrag in Höhe von 1.042.657,86 Euro seien das erhaltende Pflegegeld in Höhe von 115.075,81 Euro und ein außergerichtlich gezahlter Betrag von 80.000 Euro abzuziehen. Ebenso gezahlte 16.956 Euro der gesetzlichen Krankenversicherung für die Verhinderungspflege. Es verbleibe ein Betrag in Höhe von 830.625,20 Euro. Auch die privaten Sachverständigenkosten und die vorgerichtlichen RechtsAnwaltskosten seien von der Beklagten zu zahlen.

 

Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht & Verkehrsrecht

(Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 04.12.2023, AZ: 5 U 110/22)

 
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