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Krebsbefund nicht mitgeteilt: 100.000 Euro

15.04.2020


Der 1962 geborene Selbständige wurde mit Atemnot und starken Rückenschmerzen notfallmäßig im Krankenhaus aufgenommen. Eine Computertomographie des Thoraxes ergab unklare Veränderungen an der linken Lungenspitze. Die Ärzte führten eine videoassistierte Thorakoskopie mit Lungenspitzenresektion und teilweiser Entfernung der Pleura durch. Zum Zeitpunkt der Entlassung aus der stationären Behandlung lag das Ergebnis der pathologischen Untersuchung der Operationspräparate noch nicht vor. Das histologische Ergebnis bestätigte ein Sarkom der Lunge (bösartiger Tumor, entweder vom Weichteilgewebe oder vom Knochen ausgehend).

Die Pathologie ergab, dass das Tumorgewebe nicht vollständig bei der Operation entfernt worden war. Der nachbehandelnde Internist teilte dem Mandanten mit: Falls die Pathologie etwas Auffälliges ergeben würde, schicke das Krankenhaus ihm die Unterlagen zu. Die Klinik leitete aber den Histologiebericht nicht an den Internisten weiter.


Zwei Jahre später wurde der Mandant mit stärksten Schmerzen im Brustkorb stationär in derselben Klinik aufgenommen. Nach einer videoassistierten Thorakoskopie erklärten die Ärzte es sei alles o.k. Nach stationärer Entlassung kam es zu einer mehrstündigen heftigen Schmerzattacke, die zu einer Wiederaufnahme in das Krankenhaus führte. Eine CT des Brustkorbes ergab den Verdacht auf eine tumoröse Raumforderung. In einer mehrstündigen Operation zeigten sich suspekte Anteile eines Tumors. Die Schnellschnittuntersuchung des Gewebes ergab einen bösartigen Tumor. Es wurde die Diagnose eines ausgedehnten Tumorrezidivs eines monophasischen synovialen Sarkoms im linken Lungenoberlappen sowie supraaortal links mit gekammerten Seromen links basal gestellt. Die endgültige pathologische Untersuchung des Präparates der Pleuragruppe ergab ein monophasisches synoviales Sarkom (bösartiger Tumor, der vom Bindegewebe ausgeht und zu den Weichteilsarkomen gehört).


Nach der Operation erklärte ein Arzt: Schon vor zwei Jahren hätte die Diagnose des Sarkoms mitgeteilt werden müssen. Damals hätte man den Tumor auf Anhieb operativ entfernen können. Jetzt sei er so stark mit dem umgebenden Gewebe und den Gefäßen verwachsen, dass dieses nicht mehr möglich sei. Man müsse durch eine Chemotherapie und ggf. auch durch Bestrahlung den Krebs zurückdrängen. Die Aussichten, wieder gesund zu werden, seien schlecht. Der Mandant wurde über Monate mit Chemotherapie und Bestrahlung in mehreren Zyklen behandelt. Durch diese Behandlungen konnte das Tumorwachstum nicht mehr begrenzt werden. Er verstarb fast zwei Jahre nach der Mitteilung, man habe vergessen, ihm den damals noch heilbaren Krebsbefund mitzuteilen.


Ich hatte den Ärzten vorgeworfen, meinen Mandanten grob fehlerhaft nicht über die bösartigen Befunde informiert zu haben. Zwar habe bei Entlassung aus der stationären Behandlung der histologische Bericht noch nicht vorgelegen, sondern erst 10 Tage später. Dieser Zeitraum sei allerdings dadurch zu erklären, dass die Diagnose und vor allen Dingen die therapeutisch und prognostisch wichtige Differenzialdiagnose des Weichteiltumors ausgesprochen schwierig und die Vielzahl der anzuwendenden diagnostischen Methoden sehr aufwendig gewesen sei. Grob fehlerhaft und völlig inakzeptabel sei es jedoch, dass diese Befunde in der Klinik überhaupt nicht zur Kenntnis genommen und dem Internisten des Patienten nicht mitgeteilt wurden. Ein Arzt habe sicherzustellen, dass der Patient von bedrohlichen Befunden Kenntnis erhalte, auch wenn diese nach Ende der stationären Behandlung eingingen (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2018, AZ: VI ZR 285/17).


Es müsse in jeder Klinik organisatorisch sichergestellt sein, dass alle außerhalb der Abteilung erhobenen medizinischen Befunde von einem kompetenten Arzt gesehen, gelesen und beurteilt würden, um die Konsequenzen für die Behandlung zu veranlassen. Das gelte selbstverständlich auch für gravierende krankheitsrelevante Befunde, die erst nach Entlassung aus der stationären Behandlung einträfen.


Folgen dieser Fehler sei die dreijährige Nichtbehandlung des bösartigen Tumors. Bis zu seinem Tod litt der Mandant unter starker Abgeschlagenheit, stark verringerter körperlicher und psychischer Belastbarkeit aufgrund der aggressiven und belastenden Chemotherapie. Er litt unter chronischen Rücken- und Schulterschmerzen. Er machte sich große Sorgen um die Zukunft seiner Ehefrau und seiner Kinder.


Für die Leidenszeit meines Mandanten bis zu seinem Tod habe ich ein Schmerzensgeld in Höhe von 100.000 Euro geltend gemacht (OLG Hamm, Urteil vom 27.10.2015, AZ: 26 U 63/15).


Dieser Schmerzensgeldbetrag wurde in voller Höhe wegen des eindeutigen Verschuldens und dem klaren Zusammenhang zwischen dem Fehler und dem Tod von der Haftpflichtversicherung des Krankenhauses reguliert. Alle weiteren Ansprüche (Hinterbliebenengeld, Barunterhaltsschaden, Haushaltsführungsschaden, Pflegekosten, usw.) waren nicht mit dieser Vereinbarung abgegolten und werden gesondert reguliert.


Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht 

 
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