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Falsche genetische Beratung: 7.500 Euro

22.11.2017

Bei der 1990 geborenen Angestellten wurde im November 2012 eine Schwangerschaft festgestellt. Sie befand sich zu diesem Zeitpunkt in der 7. Schwangerschaftswoche. Nachdem zunächst normale Ergebnisse befundet worden waren, ließ die Mandantin in der 13. Schwangerschaftswoche ein Ersttrimester-Screening mit Anamnese, Bestimmung des freien Beta-HCG's und des PAPP-A-Wertes und der fetalen Nackentransparenz durchführen. Das Screening ergab für das Vorhandensein einer Trisomie 21 ein Gesamtrisiko von 1:3220, wobei das Hintergrundrisiko 1:1038, das Biochemierisiko 1:594 und das Nackentransparenzrisiko 1:5627 betrug. Die Frauenärztin teilte der Mandantin telefonisch mit, es sei alles in Ordnung. Nachdem sie im Juli 2013 ihren Sohn geboren hatte, wurde unmittelbar der Verdacht auf eine Trisomie 21 gestellt und anschließend bestätigt. Die Mandantin hatte der Frauenärztin vorgeworfen, trotz der Ultraschallbefunde im Januar 2013 sowie des Biochemierisikos von 5:594 mitgeteilt zu haben, es sei alles in Ordnung. Wären ihr die Informationen richtig mitgeteilt worden, hätte sie weitere Untersuchungen zum Ausschluss einer Behinderung ihres Kindes angeordnet.

Sie hätte in jedem Fall eine Fruchtwasseruntersuchung durchgeführt. Wäre ihr das Ergebnis der Fruchtwasseruntersuchung (Trisomie 21) mitgeteilt worden, hätte sie sich definitiv gegen eine weitere Austragung des Kindes entschieden und hätte eine Abtreibung vornehmen lassen. Da in der Nachbarschaft ebenfalls ein Kind mit Trisomie 21 lebe, habe sie mit ihrem Lebensgefährten auch schon vor der Schwangerschaft entschieden, niemals ein Kind mit Trisomie 21 oder einer anderen Behinderung auszutragen.

In Kenntnis der Behinderung ihres Kindes in oder kurz nach der 17. Schwangerschaftswoche hätte sie sich dafür entschieden, die Schwangerschaft zu beenden. Zum Zeitpunkt einer möglichen rechtmäßigen Abtreibung ab der 17. Schwangerschaftswoche hätten die Voraussetzungen des § 218 a Abs. 2 StGB vorgelegen: Es hätte damals eine Gefahr der schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres seelischen Gesundheitszustandes bestanden. Die Klägerin habe zunächst vorgehabt, ihr Kind zur Adoption freizugeben. Wäre dies damals tatsächlich geschehen und adoptiert worden, hätte sich hieraus eine erhebliche konkrete Gefahr für ihre psychische Gesundheit ergeben.

Nach umfangreicher Anhörung der Mandantin im Termin hat das Gericht mitgeteilt: Es werde zu der Frage, ob der Schwangerschaftsabbruch zur Abwendung einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Klägerin notwendig gewesen sei, ein Sachverständigengutachten einholen. Die Kammer weise darauf hin, dass sie selbst dem Vortrag der Klägerin eine solche schwerwiegende Belastung nicht entnehmen könne, sondern nur den festen Willen, kein behindertes Kind zur Welt zu bringen und zu versorgen. Was den Behandlungsfehler anginge, spräche viel dafür, dass sich dieser nicht beweisen lasse. Das Auswertungsprogramm kenne nur eine Auswertung des Kombinationswertes. Dieser habe eindeutig im grünen Bereich gelegen. Die endgültige Klärung der Frage müsse jedoch einem Sachverständigen vorbehalten bleiben.

Zur Vermeidung einer weiteren umfangreichen Beweisaufnahme haben sich die Parteien auf den Vergleich in Höhe von 7.500 Euro geeinigt.

(Landgericht Dortmund, Vergleichsbeschluss vom 23.08.2017, AZ: 4 O 48/16)

Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht

 
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