Amputation Unterarm nach OP: 70.000 Eur
05.07.2021
Die 1983 geborene Mutter von drei Kindern stellte sich wegen seit 5 bis 6 Wochen bestehenden Schmerzen im rechten Ellenbogen in einer Chirurgischen Praxis vor. Der erste Chirurg diagnostizierte eine Epicondylitis ulnaris humerica (Golferellenbogen) und verordnete einen Oberarmgips mit Fingereinschluss. Anschließend verordnete er 10 Tage später Prednisolon 10 mg. Krankengymnastik erhielt die Mandantin nicht. Weil keine Besserung eintrat, übernahm der weitere Chirurg die Behandlung und erklärte, sie müsse operiert werden. Im Aufklärungsbogen trug er ein: "92 % Erfolgsquote". Eine Woche später erfolgte eine OP nach Hohmann am rechten Arm (Entlastung der Muskelspannung durch eine teilweise Durchtrennung der Sehnenansätze). Danach bildete sich am rechten Arm ein Morbus Sudeck aus. Die Mandantin litt an der gesamten rechten Hand und am linken Unterarm unter einer lividen Verfärbung der Finger, eingeschränkter Beweglichkeit, massiver Schmerzhaftigkeit der gesamten oberen rechten Extremität. Nach mehreren Krankenhausaufenthalten, Operationen an den Fingern, einer Schmerzbehandlung mit Amitriptylin und Lyrika, Ergotherapie, Lymphdrainage, Krankengymnastik, amputierten die Ärzte eines Nachfolgekrankenhauses den rechten Unterarm im mittleren Drittel. Ich hatte dem Chirurgen vorgeworfen, meine Mandantin grob fehlerhaft nicht über die Möglichkeit weiterer konservativer Maßnahmen vor der Operation aufgeklärt zu haben. Zusätzlich habe der Arzt durch die Angabe einer 92 %igen Erfolgsquote und durch Verharmlosung des Versagerrisikos der Operation eine falsche Zusicherung gegeben. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätte sie zunächst sämtliche konservativen Therapiemaßnahmen ausgeschöpft, um am Ende über eine Operation - nach erfolgloser Durchführung der konservativen Behandlung - nachzudenken. Nach Anhörung mehrerer Sachverständiger hat das Landgericht entschieden: Meine Mandantin sei nicht ausreichend über weitere konservative Maßnahmen als alternative Methoden zur OP aufgeklärt worden. Es hätten echte Behandlungsalternativen in Form von konservativen Therapiemöglichkeiten bestanden (Krankengymnastik, Spritzentherapie, Kortison-Stoßtherapie, weitere Ruhigstellung durch eine Gipsschiene). Erst wenn der Leidensdruck des Patienten so hoch sei, dass er die Schmerzen nicht mehr aushalten könne, könne eine Operation auch zu einem früheren Zeitpunkt indiziert sein. Dem Patienten müsse jedoch verdeutlicht werden, dass die Erfolgsaussichten einer Epicondylitis-Operation nicht so exzellent seien, dass diese die weitere konservative Behandlung ersetzen könne. Der Arzt müsse darauf hinweisen, dass viele Patienten erfolgreich konservativ behandelt würden. Der Chirurg habe zusätzlich die Erfolgsaussichten der Operation fehlerhaft dargestellt. Er habe in der Beweisaufnahme erklärt, der handschriftliche Eintrag "92 % Erfolgsquote" beziehe sich tatsächlich auf die Erfolgsquote der Operation. Beide Sachverständigen hätten jedoch übereinstimmend erklärt, dass eine derartige Aussage wissenschaftlich nicht belegbar und unhaltbar sei. Es gäbe keine statisch belegbaren Daten zur Erfolgsquote. Es sei überhaupt nicht geklärt, auf welcher Art von Erfolg sich dieser Wert beziehen solle. Die Patientin habe den Einwand der hypothetischen Einwilligung des Arztes glaubhaft widerlegt: Sie habe deutlich gemacht, dass sie bei ordnungsgemäßer Aufklärung weitere konservative Verfahren ausprobiert hätte. Als Hausfrau und Mutter von drei Kindern hätte sie eine Operation nicht leichtfertig gewählt. Die Beschwerden im rechten Arm bis zur Operation hätten sie nicht daran gehindert, ihren Haushalt weiter zu führen und sich um ihre Kinder zu kümmern. Sie sei auch weiter arbeiten gegangen. Die Operation sei rechtswidrig, so dass der Arzt für alle Folgen des rechtswidrigen Eingriffs hafte. Es sei kein anderes Ereignis als die Operation denkbar, das Auslöser für die Morbus Sudeck-Erkrankung gewesen sei. Ein Schmerzensgeld sei in Höhe von 70.000 Euro angemessen, weil der rechte Arm bereits vor der Amputation vollständig funktionsunfähig gewesen sei. Die Mandantin sei funktionell als einarmig anzusehen. Sie habe erhebliche Einschränkungen im Haushalt und bei der Verrichtung sämtlicher Arbeiten hinzunehmen, die einen Einsatz beider Arme erforderten. Sie habe starke Schmerzen, die auch nach der Amputation in den Schulter-Nacken-Bereich ausstrahlen würden. Wegen der Berufung des Arztes hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichtes Hamm eine weitere Beweisaufnahme mit beiden Sachverständigen durchgeführt. Beide hatten im Termin bestätigt, dass die Operation eines Golferellenbogens lediglich eine Ultima Ratio-Maßnahme sei. Bereits nach zwei Wochen Gipsbehandlung zur Operation zu raten, sei nicht vertretbar. Der Chirurg hätte den Hinweis erteilen müssen, dass die konservative Therapie zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch nicht gescheitert gewesen sei. Konservative Möglichkeiten seien zum Zeitpunkt der Operation überhaupt noch nicht ausgeschöpft gewesen. Außerdem sei die 92 %ige Zusicherung des Erfolges nicht hinnehmbar. Auf Anraten des Senates hat der Chirurg die Berufung zurückgenommen. (Landgericht Dortmund, Urteil vom 19.03.2020, AZ: 12 O 58/15,OLG Hamm, AZ: I-3 U 56/20 Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht & Verkehrsrecht |