Wachkoma nach Herzinfarkt: 125.000 Euro
22.06.2021
Die 1974 geborene Mandantin und Mutter eines 11-jährigen Sohnes war langjährige Patientin bei ihrem Hausarzt. Weil sie unter Schmerzen in der linken Hand bis hinein in den linken Arm, Brustschmerzen sowie Kribbeln in beiden Händen litt, suchte sie ihren Hausarzt auf und schilderte ihm ihre Beschwerden. In der handschriftlich geführten Patientenakte war folgender Eintrag dokumentiert: "Armschmerzen rechts, Kribbeln in den Händen, thorakale Schmerzen. Diclofenac 50 mg, klinisch keine Auffälligkeiten". Die Dokumentation war in zwei verschiedenen Handschriften verfasst. Der überwiegende Teil der Dokumentation stammte von einer Arzthelferin. Der Satz, dass keine klinischen Auffälligkeiten bestünden, wurde vom Arzt eingetragen. Nach durchgeführter Untersuchung, die weder die Messung von Blutdruck noch eine Kreislaufüberprüfung umfasste, verordnete der Hausarzt ein Schmerzmittel. Gut drei Stunden nach der Untersuchung kollabierte sie zu Hause. Sie wurde von ihrem Sohn regungslos und ohne Puls gefunden. Der herbeigerufene Notarzt reanimierte die Mandantin und stellte die Diagnose eines akuten Koronarsyndroms mit Herzkreislaufstillstand. Dokumentiert war eine präklinische Hypoxiezeit von ca. 20 Minuten. Im Krankenhaus wurde die Diagnose eines akuten Vorderwandinfarktes (STEMI) mit kardiogenem Schock gestellt. Aufgrund eines hypoxischen Hirnschadens lag die Patientin im Wachkoma und verstarb während des Prozesses fünf Jahre später. Ab diesem Zeitpunkt führte der Sohn den Prozess als Erbe und Rechtsnachfolger weiter. Ich hatte dem Hausarzt mit zwei Privatgutachten vorgeworfen, grob fehlerhaft die kardiale Notsituation nicht erkannt zu haben. Die Nichtbehandlung des akuten Vorderwandinfarktes sei kausal für den schweren dauerhaften Hirnschaden, das Wachkoma und den anschließenden Tod. Nach Anhörung zweier gerichtlicher Sachverständiger hat die Kammer festgestellt, dass es der Beklagte grob fehlerhaft unterlassen habe, medizinisch notwendige Befunde zu erheben. Wenn thorakale Schmerzen dokumentiert seien, müsse der Arzt umgehend eine Untersuchung der Herzfunktion durch Auskultation, Abhören sowie Messen des Blutdruckes vornehmen. Es hätte umgehend ein EKG eingeleitet werden müssen. Thorakale Schmerzen seien immer von einem Wirbelsäulenschmerz abzugrenzen. Der Hausarzt hätte zudem einen Troponin-Test durchführen müssen. Hierbei handele es sich um einen Schnelltest, ob Muskelgewebe im Herzen untergegangen sei. Das Unterlassen dieser Befunderhebungen sei grob fehlerhaft gewesen. Bei den Brustschmerzen der Patientin habe es sich um neu aufgetretene Symptome gehandelt. Auch in der hausärztlichen Situation müsse bei unklaren Brustschmerzen eine Diagnose erzwungen werden, notfalls unter Rückgriff z.B. auf das EKG. Dass der Hausarzt diese Untersuchungen nicht durchgeführt habe, sei grob behandlungsfehlerhaft. Der hypoxische Hirnschaden mit anschließendem Wachkoma und der spätere Tod seien kausal auf diese groben Fehler zurückzuführen. Hätte der Arzt die entsprechenden Untersuchungen erhoben, hätte sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im EKG und auch im Troponin-Test reaktionspflichtige Ergebnisse gezeigt. Die Patientin hätte noch aus der Praxis mit dem Notarzt in eine Klinik eingewiesen werden müssen. Hier hätte man eine eventuelle Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes umgehend effizient behandeln können. (Landgericht Dortmund, Urteil vom 01.04.2021, AZ: 12 O 336/16) Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht & Verkehrsrecht |