Die 1973 geborene Mandantin stürzte mit ihrem Rad auf die linke Schulter. Dabei renkte sie sich das linke Schultergelenk aus und brach sich den Oberarmkopf. Im Krankenhaus wurde versucht, den Mehrfragmentbruch geschlossen in Vollnarkose einzurenken. Nach dem Einrenken machten die Ärzte eine Kontroll-Röntgenaufnahme. Erst einen Tag später erfolgte eine Computertomographie des linken Schultergelenkes. Die Ärzte versuchten dann offen den Bruch zu richten und brachten eine Platte am Oberarmknochen an. Nach der Operation litt die Mandantin unter einer hochgradigen, aber inkompletten Plexus-brachialis-Parese links. Es bildete sich eine Oberarmkopfnekrose. Die Mandantin erhielt in einer weiteren Klinik eine Schulterprothese. Sie leidet an starken Missempfindungen und Schmerzzuständen und ist in ihrer Haushalts- und Arbeitstätigkeit beeinträchtigt.
Ich hatte den Ärzten vorgeworfen, meine Mandantin am Unfalltag nicht über die echte Behandlungsalternative der sofortigen offenen Reposition des Bruches und Fixation des Humeruskopfes mit einer winkelstabilen Platte aufgeklärt zu haben. Ihr sei lediglich mitgeteilt worden, sie habe sich die Schulter verrenkt. Ein Bruch läge nicht vor. Außerdem sei durch die geschlossene Reposition der Mehrfragmentbruch fehlerhaft eingerenkt worden. Durch die geschlossene Reposition habe sich das Knochenstück verschoben. Dieses habe auf die Nerven gedrückt und die Durchblutungssituation der Kopfkalotte weiter verschlechtert.
Das Landgericht Detmold hatte die Klage mit der Begründung abgewiesen, es könne weder einen Aufklärungsfehler noch einen Behandlungsfehler der Ärzte erkennen. Außerdem stünde nicht fest, dass die jetzigen Schäden auf mögliche Fehler zurückzuführen seien.
Auf meine Berufung hat der Senat in Hamm den Sachverständigen erneut vernommen und festgestellt, dass die offene Repositionsoperation grob fehlerhaft zu spät durchgeführt worden sei. Der Nervenschaden habe nicht bereits direkt nach dem Unfall vorgelegen, sondern sei auf den Fehler zurückzuführen. Es sei von vornherein unwahrscheinlich gewesen, dass die geschlossene Reposition der Mehrfragmentfraktur gelingen würde. Man hätte die Klägerin deshalb auf die notwendig werdende offene Reposition vorab hinweisen müssen. Nach Scheitern der geschlossenen Reposition der Fraktur hätte umgehend die offene Reposition erfolgen müssen. Das Zuwarten von mehr als einem Tag habe das Risiko von Nervenschäden und weitergehender Beschädigungen der Blutgefäße erhöht. Diese verspätete Reaktion sei nicht akzeptabel. Bei einem Ausrenkungsbruch sei wegen der Gefahr einer Humeruskopfnekrose und der Entwicklung von Nerven- und Plexusschäden zeitnah eine Operation durchzuführen. Der Arzt im Krankenhaus habe dokumentiert, dass bei der Aufnahme im Krankenhaus noch eine intakte Nervenstruktur vorgelegen habe. Der Klägerin helfe die Beweislastumkehr infolge des groben Behandlungsfehlers bei der verzögerten offenen Operation. Die Beklagte müsse nachweisen, dass der Nervenschaden auch bei rechtzeitig erfolgter Operation eingetreten wäre. Das sei nicht möglich. Die Beklagte sei für die eingetretene Plexus-brachialis-Parese verantwortlich, die dauerhaft ist und sich links aufgrund anhaltender Schwäche des Musculus trizeps brachili in einer Bewegungsminderung des linken Armes, geringen Empfindungsstörungen im Bereich der Daumenkuppe und des außenseitigen linken Armes äußere. Insgesamt seien die Beeinträchtigungen für die Klägerin jedoch nicht so erheblich. Sie nähme keinerlei Schmerzmittel und sei wieder in der Lage, Radrennen zu fahren.
Die Richter hielten ein Schmerzensgeld von 10.000 Euro für ausreichend und angemessen. Sie hoben das Urteil des Landgerichtes Detmold auf.
(OLG Hamm, Urteil vom 29.10.2019, AZ: I-26 U 61/19; LG Detmold, Urteil vom 05.04.2019, AZ: 1 O 61/17) Rechtsanwalt Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht
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