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Verbrennung auf dem OP-Tisch: Ein vermeidbares Risiko?

22.01.2014

Zahlreiche Notoperationen, die Anlage eines künstlichen Darmausganges, schwere Nervenschäden am Rücken, am rechten Bein mit großem Muskelverlust und Dauerschmerzen haben aus dem Industriearbeiter einen Pflegefall gemacht.

Nicht ganz so dramatisch erging es einer Reitsportlerin, die sich in einer Routineoperation in Vollnarkose einen Marknagel aus dem rechten Oberschenkel nach verheiltem Knochenbruch entfernen lassen wollte. Postoperativ stellten die Behandler eine 6 x 4 Zentimeter große Verbrennung (Stadium IIa) am linken Gesäß fest, die über Monate behandelt werden musste. Bis heute hat die 38jährige Schmerzen beim Reiten an der vernarbten Gesäßhälfte.

Während im zweiten Fall das Krankenhaus aus Niedersachsen ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,- Euro zahlte (LG Lüneburg, Vergleich vom 06.12.2012, AZ: 2 O 82/12), kämpft der Frührentner zur Zeit vor dem Oberlandesgericht in Hamm (AZ: I-26 U 67/13) immer noch um sein Recht, nach dem das Landgericht Bochum seine Klage auf Schmerzensgeld, Verdienstschaden und weitere zukünftige finanzielle Verluste gegen die Operateure abgewiesen hat.

Für den medizinischen Laien ist es völlig unerklärlich, wieso es bei einer OP am Unterleib, Hüfte oder Oberschenkel, zu einer Verbrennung am Gesäß oder Rücken kommen kann. Die Lösung liegt in dem immer häufigeren Einsatz der sogenannten Elektrochirurgie. Mit Hilfe von elektrischer Energie, die in Wärme umgewandelt wird, kann der Operateur biologisches Gewebe schneiden und Blutungen stillen. Die Operationsdauer ist kürzer, ein schonenderes Operieren möglich. Durch Erhitzung des geschnittenen Gewebes wird der Blutfluss thermisch verödet, so dass ein erhöhter Blutverlust vermieden wird.

Eingesetzt werden bei der Hochfrequenzchirurgie die monopolare und die bipolare Technik. Sie unterscheiden sich lediglich durch den Weg, den der Strom durch den Körper des Patienten nimmt. Entscheidend ist: Der Strom, der in den Körper beim Operieren eingeleitet wird, muss durch eine Neutralelektrode, die beispielsweise am Bein anzubringen ist, kontrolliert ausgeleitet werden. Besteht Kontakt zum OP-Tisch mit Rücken oder Gesäß, wird der Strom über den stählernen OP-Tisch ungewollt abgeleitet. Hierdurch kommt es zu den folgeschweren Verbrennungen.

Hersteller und Sachverständige für elektrophysikalische Medizingeräte fordern daher strenge Sicherheitsvorkehrungen. Der Patient soll auf einer ca. drei Zentimeter isolierenden Gelmatte liegen. Er ist mit saugfähigen Leinentüchern auf der Gelmatte zu unterlegen. Nach Desinfektion muss der OP-Pfleger vor Beginn des Schneidens die trockene Lagerung genau kontrollieren. Es ist ein Kaltdesinfektionsmittel mit geringem Alkoholgehalt zu verwenden. Besondere Vorsicht gilt bei besonders dicken oder dünnen Patienten, weil in Hautfalten stromleitendes Desinfektionsmittel oder Schweiß nicht verdunsten kann.

Die Verteidigung der Krankenhausanwälte im Prozess ist immer gleich: Es habe sich ein Risiko verwirklicht, das trotz äußerster Sorgfalt nicht vermeidbar gewesen sei. Der Patient sei auf dem OP-Tisch trocken und isoliert gelagert worden. Die trockene Lagerung werde vor Beginn des Eingriffs immer überprüft. Die Elektrode, um den Strom abzuleiten, sei ordnungsgemäß angebracht worden. Das eingesetzte Elektro-Gerät habe keine Fehlermeldungen angezeigt. Es handele sich um einen atypischen Stromabfluss, der nach Abdecken des Patienten mit sterilen Operationstüchern nicht mehr zu erkennen sei. Die Verbrennung sei daher schicksalshaft.

In dieser Situation hilft dem Geschädigten nur die für das Arzthaftungsrecht entwickelte Beweisregel des voll beherrschbaren Risikos. Grundsätzlich muss der Patient beweisen, dass die Verbrennung auf einem Fehler der Ärzte beruht. Einzige Ausnahme: Immer dann, wenn es allein um den Einsatz eines medizinischen Gerätes geht, das vom Arzt uneingeschränkt beherrscht werden kann, muss der Behandler beweisen, dass der Schaden nicht auf seinem Fehlverhalten beruht. Dann muss das Krankenhaus die Vermutung widerlegen, die Verbrennung sei auf einen Fehler des Operateurs zurückzuführen ( vgl. BGH NJW 1991, 1540, (1541); LG Bonn Urteil vom 30.10.2007, AZ: 8 S 130/07).

Konnte bisher das Krankenhaus den Beweis für eine ordnungsgemäße Vorbereitung des OP-Tisches und die Kontrolle der trockenen Unterlage durch Zeugen beweisen, verlor der Patient regelmäßig den Prozess. Nach Ansicht der Gerichte war nämlich nach abschließender Kontrolle vor OP-Beginn eine spätere Nässe durch Urin oder Schweiß unter dem Patienten nicht voll beherrschbar, weil der Patient mit Tüchern abgedeckt werde.

Das will der für Behandlungsfehler zuständige 26. Zivil-Senat des Oberlandesgerichtes Hamm jetzt überprüfen. In der Berufungsverhandlung Anfang Dezember 2013 haben die Richter angekündigt: Der urologische Sachverständige habe ausgeführt, in rund 800 bis 1000 eigenen Operationen sei ihm eine solche Verbrennung noch nicht untergekommen. Aus Broschüren der Elektrochirurgie-Hersteller ergäbe sich, dass es nach einer Qualitätskontrolle in Krankenhäusern nicht mehr zu Verbrennungen gekommen sei. Bei der thermischen Schädigung handele es sich um ein äußeres Geschehen, die Technik sei entscheidend. Ein Medizinprodukt müsse immer voll vom Arzt beherrscht werden. Erstmals soll nun ein Sachverständiger für Elektro- und elektrophysikalische Medizin klären, ob es trotz ordnungsgemäßer Lagerung und Einhaltung der Herstellervorschriften ungewollt zu einer Verbrennung kommen kann. Bisher hatten die Gerichte immer nur einen Sachverständigen aus dem Fachgebiet des Operateurs mit der Beantwortung dieser Beweisfrage beauftragt. Damit könnten die Richter in Hamm als erstes Oberlandesgericht in Deutschland den Streit, ob das Verbrennunsrisiko bei einer OP voll beherrschbar ist, neu entscheiden und die Rechte von Patienten bei einem positiven Urteil erheblich stärken.

Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht

 
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