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Schließmuskel durchtrennt: 60.000 Euro Gesamtabfindung

29.09.2014

Die 1970 geborene Beamtin litt im Jahre 2005 unter einer Analfistel, welche im Februar 2005 zunächst in einem anderen Krankenhaus behandlungsfehlerhaft operiert wurde. Dafür erhielt sie ein Schmerzensgeld durch Urteil in Höhe von 4.000 Euro. Bei einer Revisionsoperation vom 19.02.2005 wurde die Fistel dann aufgefunden und aufgeschnitten. Es stellte sich kein dauerhafter Erfolg ein, weil es in der Folge zu einem Rezidiv kam. Auf Vorschlag ihrer Hausärztin suchte die Mandantin den beklagten Wuppertaler Chirurgen auf. Dieser legte an die Fistel einen Faden, um eine Fadendrainage nach der sogenannten "Cutting Seton"-Methode (schneidender Faden) durchzuführen. Dabei sollte die Fistel durch einen Faden langsam abgebunden werden. Die Fadendrainagen-Behandlung wurde in mehreren Behandlungsterminen, in denen jeweils der Faden angezogen und mehrfach gewechselt wurde, durchgeführt und dauerte bis zum 13.09.2005.

Die Mandantin stellte anschließend erhebliche Defizite bei der Funktion ihres Schließmuskels fest, konnte Blähungen nicht mehr halten. Nach weiterer Untersuchung durch den Chirurgen im Juni 2006 nahm dieser im Juli 2006 eine Rekonstruktions-OP des Schließmuskels vor. In der Folge litt die Mandantin unter Beschwerden wie Hitzegefühl, Vaginalschmerzen und innerer Unruhe und stellte am 10.07.2006 fest, das Stuhl aus der Vagina austrat. Es wurde eine rektovaginale Fistel diagnostiziert, eine Verbindung zwischen Mastdarm und Scheide. Am 12.07.2006 erfolgte eine Revisionsoperation, nach welcher die Mandantin am 20.07.2006 erneut Stuhlaustritt aus der Scheide feststellte. Am 01.08.2006 wurde in einem Essener Krankenhaus zur Entlastung des Afters ein künstlicher Darmausgang gelegt.

Nach stationärer Aufnahme vom 20.11.2006 wurde in einem Recklinghauser Krankenhaus am 22.11.2006 eine Laparotomie durchgeführt. In einer weiteren OP am 25.06.2007 wurde der Darmausgang zurückverlegt.

Bis zum heutigen Zeitpunkt dauern die Inkontinenzprobleme und eine erhebliche psychische Beeinträchtigung an. Zur Fadendrainage hat die Klägerin behauptet, der Beklagte habe ihr erst beim letzten Fadenwechsel erklärt, wie die Fadenmethode funktioniere und habe bei diesem Wechsel auch ein Stück des Schließmuskels durchtrennt. In der ersten Instanz hatte das Landgericht Köln ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 Euro ausgeurteilt, weil der Chirurg ohne wirksame Einwilligung der Mandantin mit der Cutting Seton-Methode (schneidender Faden) einen rechtswidrigen, körperverletzenden Eingriff durchgeführt habe. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stünde für die Kammer fest, dass er die Klägerin vor der Behandlung nicht über die Risiken aufgeklärt habe. Insbesondere habe er nicht auf die damit einhergehende Durchtrennung des Schließmuskels mit dem daraus folgenden sehr hohen Inkontinenzrisiko hingewiesen. Dieses ergäbe sich ohne weitere Beweisaufnahme bereits aus der persönlichen Anhörung des Beklagten in Verbindung mit den Erläuterungen des gerichtlichen Sachverständigen. Tatsächlich habe der Chirurg darauf hingewiesen, dass durch den schneidenden Faden der Schließmuskel "etwas beleidigt" reagieren könne. Das sei aber nicht weiter problematisch. Dies könne man reparieren, falls Defekte aufträten.

Der Sachverständige habe erklärt, beim schneidenden Faden handele es sich um ein veraltetes und im Jahre 2005 kaum noch genutztes Verfahren, weil es zu einer bewussten Durchtrennung des Schließmuskels führe und deshalb mit einem im Vergleich zu einer Operation deutlichen höheren Risiko merkbarer Inkontinenz einhergehe. Deshalb müsse der Arzt den Patienten deutlich darauf hinweisen, dass es sich um ein selten angewendetes Verfahren handele, das zu einer Durchtrennung des Schließmuskels führe und deshalb zu einer Inkontinenz. Darüber hinaus habe es sich bei der zu behandelnden Stelle der Klägerin um einen kritischen Bereich gehandelt, in dem bei Frauen der Schließmuskel besonders dünn sei. Auch hierauf hätte gesondert hingewiesen werden müssen. Die Erklärung des Beklagten, der Schließmuskel reagiere beleidigt, habe nicht hinreichend deutlich gemacht, dass der Schließmuskel durchtrennt werde. Jedenfalls habe eine solche Angabe das Risiko verharmlost. Weiterhin habe der Chirurg nach seinen eigenen Angaben nicht darauf hingewiesen, dass es sich jedenfalls in Deutschland um ein kaum gebräuchliches Verfahren handele und dass eine Alternative hierzu eine Operation wäre, bei der jedenfalls das Risiko merkbarer Inkontinenz geringer gewesen sei. Überdies habe er der Mandantin nicht vor Augen geführt, dass die Gefahr einer merkbaren Inkontinenz als Folge einer Schließmuskeldurchtrennung in ihrem Fall erst recht gegeben war, weil sich die Analfistel in einem insoweit besonders kritischen Bereich befunden habe.

Der Einwand der hypothetischen Einwilligung sei ebenfalls nicht begründet: Die Klägerin habe bei ihrer persönlichen Anhörung plausibel dargestellt, der Beklagte habe ihr nur erläutert, die Fistel müsse nicht operiert werden, er mache das mit einem Faden. Wäre sie über das Risiko der Inkontinenz aufgeklärt worden, hätte sie sich jedenfalls eine zweite Meinung eingeholt. Auf weitere Nachfrage habe sie angegeben, sie hätte sich auch erst mit ihrer Hausärztin besprochen, wenn der Beklagte sie bei ordnungsgemäßer Aufklärung darauf hingewiesen hätte, dass auch bei einer OP das Risiko einer Inkontinenz bestehe. Wahrscheinlich hätte sie sich für die OP entschieden, weil diese auch nicht so lange gedauert hätte. Diese Angaben seien für die Kammer nach dem persönlichen Eindruck glaubhaft und überzeugend. Die Klägerin habe ersichtlich Vor- und Nachteile abzuwägen vermocht und habe ihre Überlegungen plausibel begründet. Eine allein ergebnisorientierte Antwort vor dem Hintergrund prozesstaktischer Erwägungen sei auszuschließen. Ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 Euro sei angemessen, aber auch ausreichend. Ebenso hafte der beklagte Chirurg für alle Zukunftsschäden.

Gegen dieses Urteil habe ich Berufung eingelegt mit dem Hinweis, das Schmerzensgeld von 30.000 Euro sei zu gering. Der Senat des Oberlandesgerichts Köln hat darauf hingewiesen, dass auch der geltend gemachte Betrag von 50.000 Euro begründet sein könne. Es seien allerdings dann noch weitere Sachverständigengutachten auf gynäkologischem, proktologischem und psychologischem Fachgebiet einzuholen. Diese Fragen seien erstinstanzlich nicht hinreichend geklärt worden. Um der Mandantin eine umfangreiche Beweisaufnahme zu ersparen, hat der Senat eine Gesamtabfindung von 40.000 Euro Schmerzensgeld plus Zinsen sowie weitere 20.000 Euro ohne Zinsen zur Abgeltung des Feststellungsantrages angeboten. Diesen Vergleich haben beide Parteien angenommen, so dass am 30.06.2014 ein entsprechender Vergleichsbeschluss durch das Oberlandesgericht Köln erging.

(OLG Köln, Vergleichsbeschluss vom 30.06.2014, AZ: 5 U 91/13)

Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht

 
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