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Retrograde Ejakulation nach OP: 5.000 Euro

13.04.2015

Der am 19.09.1965 geborene Patient litt seit seiner Jugend an regelmäßigen Harnwegsinfekten. Mit seiner Ehefrau hatte er einen seit mehreren Jahren unerfüllten Kinderwunsch, weshalb sich das Ehepaar 2005 und 2006 dreimal einer In-vitro-Fertilisation erfolglos unterzog. Nach einer konsiliarischen Untersuchung in der Universitätsklinik Düsseldorf wurde dem Mandanten wegen der wiederkehrenden Harnwegsinfektionen eine Blasenspiegelung empfohlen. Im Jahre 2007 stellte sich der Mandant ambulant beim Chefarzt des Krankenhauses vor und berichtete von seinem unerfüllten Kinderwunsch mit rezidivierenden Harnwegsinfekten.

Am 07.11.2007 führte der Chefarzt eine Inzision und Resektion des Blasenhalses durch, wobei es nach dem Operationsbericht zu einer Eröffnung der Samenbläschen kam. Am 09.11.2007 erfolgte im Rahmen einer Notoperation eine Tamponadenausräumung. Nach Durchführung dieser beiden Eingriffe bestand beim Kläger eine retrograde Ejakulation und eine fast vollständige Anejakulation. Er ist auf natürlichem Wege nach diesen Operationen zeugungsunfähig.

Der Mandant hatte behauptet, er habe lediglich von einer beabsichtigten Blasenspiegelung in Narkose Kenntnis gehabt. Seine Einwilligung habe sich nur auf diese Blasenspiegelung, nicht aber auf ein weiteres operatives Vorgehen bezogen. Keinesfalls habe er in eine Inzision des Blasenhalses oder eine Resektion der Prostata eingewilligt. Alleinig prägend für seine Entscheidung, einen Eingriff durchführen zu lassen, sei sein Kinderwunsch gewesen. Er hätte niemals einen Eingriff durchführen lassen, der sich negativ auf seine Zeugungsfähigkeit hätte auswirken können. Über das Risiko der retrograden Ejakulation sei er nicht aufgeklärt worden.

Chefarzt und Krankenhaus hatten behauptet, die Eingriffe seien indiziert und mit dem Kläger abgesprochen gewesen. Es habe ein Eingriff in transurethraler Resektionsbereitschaft durchgeführt werden sollen. Das alles sei dem Kläger anlässlich der Chefarztvisite vor der Operation erörtert worden und auch Gegenstand des Aufklärungsgespräches mit einer Oberärztin gewesen. Ob bei der ersten Operation auch die Samenbläschen eröffnet worden seien, wäre nicht eindeutig festzustellen. Die Eröffnung der Samenbläschen sei jedenfalls nicht beabsichtigt gewesen. Der Mandant sei über die mit den geplanten Eingriffen verbundenen Risiken, auch über das Risiko einer retrograden Ejakulation, aufgeklärt worden.

Die 3. Zivilkammer des Landgerichtes Düsseldorf hatte die Klage abgewiesen. Nach durchgeführter Beweisaufnahme stünde fest, dass die Eingriffe indiziert gewesen seien. Ein Aufklärungsmangel läge nicht vor. Der Kläger sei über alle Risiken aufgeklärt worden.

Mit Urteil vom 15.01.2015 hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil aufgehoben. Es könne nach der vor dem Senat durchgeführten Beweisaufnahme nicht festgestellt werden, dass der Kläger vor dem Eingriff vom 07.11.2007 ordnungsgemäß über die mit dieser Operation verbundenen Risiken aufgeklärt worden sei. Es wäre nicht ersichtlich, dass alle spezifischen Risiken zur Sprache gekommen seien. In jedem Fall sei die erforderliche Aufklärung über das Risiko einer retrograden Ejakulation unterblieben. Die Oberärztin habe sich an das Aufklärungsgespräch nicht mehr erinnern können. Zwar könne die Darstellung der üblichen Aufklärungspraxis durch den Arzt zum Nachweis des Inhalts einer Aufklärung ausreichend sein (vgl. BGH NJW 2014, 1527).

Bei der Aufklärung über das Risiko der retrograden Ejakulation bestehe aber eine Abweichung von der üblichen Aufklärungspraxis der Zeugin. Sie habe das Risiko der retrograden Ejakulation entgegen ihrer üblichen Vorgehensweise nicht im Aufklärungsformular aufgeführt. Sie könne deshalb nicht ausschließen, dass eine Aufklärung über dieses Risiko unterblieben sei. Eine Aufklärung über mögliche Risiken der Blasenspiegelung in TUR-Bereitschaft sei auch nicht durch den Chefarzt erfolgt.

Dieser habe vor dem Senat erklärt, dass er seine Assistenzärztin mit der Durchführung derartiger RisikoAufklärungen betreue.

Die Beklagten hätten auch nicht bewiesen, dass der Kläger seine Einwilligung zum Eingriff vom 07.11.2007 auch erteilt hätte, wenn er ordnungsgemäß aufgeklärt worden wäre. Der Kläger habe plausibel dargelegt, dass er sich bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung gegen den Eingriff entschieden hätte. Das habe auch seine Ehefrau als Zeugin glaubhaft bestätigt. Das Handeln des Klägers sei, was auch die Ehefrau erläutert habe, alleinig von seinem stark ausgeprägten Kinderwunsch bestimmt gewesen. Die im Hause der Beklagten durchzuführenden Untersuchungen hatten den Zweck, eine mögliche Ursache für die herabgesetzte Spermienqualität beim Kläger zu finden.

Dass der Kläger vor diesem Hintergrund den durchgeführten Eingriff in Kenntnis des Risikos einer retrograden Ejakulation, bei dessen Verwirklichung die Zeugung eines Kindes auf natürlichem Wege aufgrund des Rückflusses der Spermien in die Blase nicht mehr möglich sei, abgelehnt hätte, erscheine plausibel. Das Risiko einer retrograden Ejakulation bei einer Blasenhalsresektion sei mit mindestens 18,2 % relativ hoch. Die Wahrscheinlichkeit, dass die behobene Blasenhalssklerose die Fruchtbarkeit beeinträchtigen könne, läge lediglich bei 1:400. Der Nutzen des Eingriffes sei im Hinblick auf die Verbesserung der Fruchtbarkeit eher gering, während das Risiko der Verschlechterung der Zeugungsfähigkeit relativ hoch gewesen sei. Der Kläger habe im Hinblick auf seine Fruchtbarkeit durch den Eingriff keinen Gewinn davongetragen.

Gegen die Plausibilität der Ausführungen des Patienten spräche auch nicht, dass er bereit gewesen sei, andere Risiken des Eingriffs in Kauf zu nehmen. Bei diesen handele es sich, wie der Kläger plausibel gemacht habe, um allgemeine mit dem Eingriff verbundene Risiken, die sich nicht speziell auf die Zeugungsfähigkeit auswirken. Der Eingriff vom 07.11.2007 sei nach den überzeugenden Aussagen des Sachverständigen auch kausal für die beim Kläger festgestellte retrograde Ejakulation.

Nach dem rechtswidrigen Eingriff sei eine Notoperation erforderlich gewesen, weil sich eine Bluttamponade gebildet habe. Ferner habe sich das Risiko der retrograden Ejakulation verwirklicht, in deren Folge der Kläger gänzlich unfruchtbar wurde. Dies habe zu erheblichen Eheproblemen und einer Beeinträchtigung des Sexuallebens des Ehepaares geführt. Allerdings habe beim Kläger eine zu berücksichtigende erhebliche Vorerkrankung in Form der schweren Subfertilität bestanden. Auch vor dem Eingriff sei die Wahrscheinlichkeit, auf natürlichem Wege ein Kind zu zeugen, gering gewesen. Positiv zu berücksichtigen sei, dass der Eingriff im Hinblick auf die Harnwegsinfekte erfolgreich gewesen war. Nach Abwägung aller Umstände hielt der Senat ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 Euro für ausreichend. Der Feststellungsantrag sei begründet, da künftige Schadensfolgen wegen der rechtswidrigen Verletzung der Gesundheit des Klägers möglich seien.

(Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 15.01.2015, AZ: I-8 U 31/14)

Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht

 
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