Frontzähne überkront: 6.000 Euro Schmerzensgeld
28.04.2015
Die 1989 geborene Patientin litt seit ihrem 16. Lebensjahr unter einer Parodontalerkrankung. Nachdem sie sich erstmalig im November 2010 bei dem Beklagten vorstellte, riet ihr dieser zu einer prothetischen Neuversorgung des Ober- und Unterkiefers im Bereich der Zähne 11, 12, 21, 22, 25 und 37. Befunde in Bezug auf den Zustand nach Parodontalbehandlung anderen Ortes oder Auffälligkeiten bezüglich der funktionellen Beziehungen der Zähne untereinander wurden nicht notiert. Am 13.12.2010 und 23.12.2010 setzte der Beklagte vier Kronen auf die Zähne 11, 12, 21, 22. Die Patientin hatte dem Zahnarzt vorgeworfen, die Überkronung der Frontzähne sei nicht indiziert gewesen. Vor Durchführung der Behandlung sei sie nicht ausreichend aufgeklärt worden. Sie hätte auf das überdurchschnittliche Risiko von auftretenden Entzündungen und eines möglichen Zahnverlustes sowie auf die mit dem erheblichen Beschleifen der Frontzähne verbundenen Risiken hingewiesen werden müssen. In diesem Fall hätte sie sich gegen die Überkronung der Frontzähne entschieden. Der Sachverständige hatte bestätigt: Die Indikation und Notwendigkeit für die Kronen auf den Frontzähnen sei nicht nachvollziehbar. Wenn eine Überkronung zur Schienung parodontal geschädigter Zähne und zur kosmetischen Korrektur einer Zahnstellungsveränderung angeraten und durchgeführt werde, sei eine intensive und eingehende Aufklärung erforderlich. Eine chronisch-entzündliche Zahnbetterkrankung sei keine Indikation für eine Überkronung. Die durchgeführte Korrektur der Zahnstellungsveränderung habe ein massives Beschleifen der natürlichen Zähne erforderlich gemacht und bedeute ein überdurchschnittliches Risiko für ein Präparationstrauma. Die Überkronung sei aus medizinischer Sicht unverständlich und "unsinnig" gewesen. Durch die Überkronung seien die Problematik des Herauswanderns der Frontzähne sowie die chronische Parodontitis nicht behoben und die Grundprobleme nicht gelöst worden. Somit sei die Maßnahme aus zahnmedizinischer Sicht absolut unverständlich, zumal die Frontzähne als solche noch völlig gesund gewesen seien. Eine Behandlung allein aus kosmetischen Gründen hätte eine umfassende und drastische Aufklärung vorausgesetzt, welche nicht ansatzweise ersichtlich sei. Somit habe es für das von dem Beklagten vorgenommene Abschleifen und die prothetische Versorgung der Frontzähne keine medizinische Rechtfertigung gegeben. Darüber hinaus hatte der Sachverständige klargestellt, dass die Röntgenaufnahmen der Frontzahnkronen Randspalten bei den Zähnen 11 und 12 erkennen ließen, so dass das beschliffene Wurzeldentin nicht vollständig von den Kronen abgedeckt sei, was ebenfalls einen Behandlungsfehler darstelle. Die Prognose für die Frontzähne 11 und 21 habe sich durch die folgenden Zahmarkentzündungen erheblich verschlechtert. An den Zähnen 12 und 22 könne jederzeit eine derartige Entzündung auftreten, weil das weichteilgewebliche Innenleben massiv geschädigt worden sei. Die Tatsache, dass bei der Patientin hinsichtlich der Frontzähne bei Behandlungsbeginn ein Lockerungsgrad I bestand, bedeute allerdings nicht, dass die Zähne schon erheblich vorgeschädigt gewesen seien. Diese hätten nur eine gewisse Beweglichkeit aufgewiesen. Darüber hinaus stünde der Patientin ein Schadensersatzanspruch auf Rückzahlung des an den Zahnarzt geleisteten Eigenanteils in Höhe von 1.200 Euro zu, weil dessen Vorgehen grob fehlerhaft war und die Leistungen unbrauchbar gewesen seien. Die Leistungen hätten für die Patientin keinen Nutzen gehabt und seien nicht von Interesse. Bei der Beseitigung der Folgen an den geschädigten Zähnen könnten weitere Kosten entstehen, so dass auch der Feststellungsantrag, bezogen auf die Zähne 12, 11, 21 und 22, begründet sei. (Landgericht Bochum, Urteil vom 07.01.2015, AZ: I-6 O 365/13) Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht |