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Sachverständiger: Ablehnung wegen Befangenheit

27.04.2016

Der abgelehnte Sachverständige war mit Beweisbeschluss beauftragt worden, eventuelle Abweichungen vom zahnärztlichen Facharztstandard bei der Behandlung der Klägerin zu prüfen. Nach Beantwortung der Beweisfragen nahm der Sachverständige eine "kritische Betrachtung" des dem Rechtsstreit zugrundeliegenden Sachverhaltes vor. Er setzte sich ungefragt damit auseinander, ob es durch die Behandlung der Klägerin durch die Beklagten überhaupt zu Schmerzen gekommen sein könne bzw. gekommen sein müsse. Diese Ausführungen waren nicht von seinem Auftrag umfasst.

Zwar führen solche Ausführungen nicht per se dazu, dass ein Ablehnungsgrund vorliegt. Insbesondere nicht, weil der Sachverständige die Beweisfragen zuvor durchaus im Sinne der Klägerin beantwortet hatte. Im weiteren Verlauf nahm der Sachverständige jedoch konkret zum Verfahren Stellung, indem er meinte, dass die Schmerzproblemtik der Klägerin nach seinem Dafürhalten nicht geklärt sei und - anders als das Vorgutachten suggeriere - nicht ohne weiteres auf den Zahnersatz der Klägerin zurückzuführen sei. Wenn er anschließend ausführe, dass die Beklagten der Klägerin einen mit Mängeln behafteten Zahnersatz eingegliedert hätten und dafür "abgestraft" worden seien, vermag dies in der Gesamtschau allerdings den berechtigten Verdacht der Klägerin begründen, der Sachverständige gehe ungefragt davon aus, dass die Beklagten (sie hatten sich bereit erklärt, den Kassenanteil für die Zahnarztversorgung an die gesetzliche Krankenversicherung zurückzuzahlen) bereits genügend für die aus ihrer Sicht mangelhafte Leistung hätten einstehen müssen.

Verstärkt wurde nach Ansicht der Kammer dieser Eindruck entscheidend dadurch, dass der Sachverständige anschließend begründete, die Klägerin habe den Beklagten zu Beginn der Behandlung keine Auskunft über ihre bestehenden somatischen und psychischen Grunderkrankungen gegeben, deren Umfang er allerdings im Einzelnen ausführte. Dies sei aus seiner Sicht eine problematische Situation, da eine solche Behandlung eine andere Umgehensweise, Behandlungsfolge und umfassende Zusammenarbeit in einem Netzwerk erfordere. Jede kleinste weitere Belastung - somatisch oder psychisch - könne das Fass zum überlaufen bringen, selbst wenn die Behandlung lege artis erfolge. Die Patienten würden ihre Verantwortung für sich nicht an der Garderobe oder beim Arzt ihres Vertrauens abgeben.

Selbst wenn diese Ausführungen durchaus ihre Berechtigung hätten, waren diese von ihm nicht erfragt und seien gemeinsam mit dem Vorstehenden geeignet, gegenüber der Klägerin zu suggerieren, dass er im Rahmen der aus seiner Sicht ungeklärten Schmerzsymptomatik ohnehin eine - wenn nicht gar die entscheidende - Verantwortung bei der Klägerin sehe. Das lasse die Vermutung zu, dass er aus diesem Grund und weil die Beklagten aus seiner Sicht bereits genügend in die Pflicht genommen worden seien, keine Veranlassung dafür sähe, dass das Gericht der Klägerin ein Schmerzensgeld zubilligen solle und er damit die von ihm für richtig gehaltene Entscheidung des Prozesses aufzeigen wolle.

Wenn der Sachverständige am Ende meine, die Klägerin müsse sich die Frage gefallen lassen, ob Absicht dahinter stecke, wenn man den Behandler direkt von Anfang ins offene Messer laufen lasse, könne hierdurch nur der berechtigte Eindruck entstehen, dass dieser im Hinblick auf das Schmerzensgeld negativ voreingenommen sei. Die von ihm gewählte Formulierung ist derart negativ besetzt, dass man den Eindruck einer damit einhergehenden Wertung des Verhaltens der Klägerin nicht von der Hand weisen könne, die zudem als Ausdruck einer unsachlichen Grundhaltung ihr gegenüber gewertet werden könne. Sofern der Sachverständige in einer weiteren Stellungnahme darauf verwiesen habe, er halte es für seine Pflicht darauf hinzuweisen, dass der Sachverhalt vielschichtiger sei, mag dies für sich durchaus noch im Rahmen seiner Aufgabe liegen.

Die Besorgnis der Befangenheit ergibt sich jedoch nicht aus diesem Hinweis, sondern aus den von ihm im Rahmen dieses Hinweises gewählten Formulierungen und Einschätzungen. Die Besorgnis der Befangenheit liegt vor, wenn dieser in einem die Grenzen seines Auftrages überschreitenden Gutachten den Prozessbeteiligten den von ihm für richtig gehaltenen Weg zur Entscheidung des Rechtsstreites aufgezeigt hat (OLG Köln GesR 2012, 172; OLG Rostock, Beschluss vom 05.10.2010, AZ: 3 W 153/10, juris, Rdn. 3; OLG Jena FamRZ 2008, 284; OLG Celle NJW-RR 2003, 135).

Das Befangenheitsgesuch gegen einen gerichtlich bestellten Sachverständigen ist auch begründet, wenn dieser seinen Gutachtenauftrag dadurch überschreitet, dass er eine dem Gericht vorbehaltene Beweiswürdigung vorgenommen und seiner Beurteilung nicht die vorgegebenen Anknüpfungstatsachen zugrunde gelegt hat (OLG Saarbrücken NJW-RR 2008, 1087) oder das Vorbringen der Parteien auf Schlüssigkeit und Erheblichkeit untersucht hat, statt die ihm abstrakt gestellte Beweisfrage zu beantworten (BGH, Beschluss vom 11.04.2013, AZ: VII ZB 32/12, juris, Rdn. 12).

Dabei kann es insbesondere einen Ablehnungsgrund darstellen, wenn ein Sachverständiger ungefragt mit seinen Feststellungen über die durch den Beweisbeschluss vorgegebenen Beweisfragen hinausgeht und vom Auftrag nicht umfasste Fragen beantwortet. Maßgeblich ist, ob sich der Sachverständige aus Sicht einer Partei an die Stelle des Gerichtes setzt und seine Neutralitätspflicht verletzt, indem er dem Gericht oder den Parteien den aus seiner Sicht für richtig gehaltenen Weg der Entscheidungsfindung weist (vgl. OLG Köln, BeckRS 2015, 02424, Rdn. 4, m.w.N.).

(LG Koblenz, Beschluss vom 15.06.2015, AZ: 1 O 142/14)

Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht

 

 
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