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Kompartmentsyndrom nach Kiefer-OP: 7.500 Euro

05.08.2019

Der zum Operationszeitpunkt 17 Jahre alte Schüler litt an einer Kieferfehlstellung im Ober- und Unterkiefer. In einer mehrstündigen Operation sägten die Ärzte den Oberkiefer aus dem Schädel heraus und verlagerten ihn nach vorne und setzten auch den Unterkiefer in die richtige Position. Einen Tag nach der OP hatte der Mandant erheblichste Schmerzen in beiden Unterschenkeln und Gefühlsstörungen. Sein Gesäß war gerötet und wund. Unter der Diagnose "Kompartmentsyndrom beidseits" nahmen die Ärzte eine notfallmäßige Fasziotomie an beiden Unterschenkeln vor. Das heißt: Beide Unterschenkel wurden der Länge nach aufgeschnitten und die einzelnen Muskelfaszien mit dem Skalpell gespalten.

Danach musste er sich sechs weiteren Operationen an beiden Unterschenkeln unterziehen, bis die Wunden endgültig verschlossen werden konnten. Während der Kiefer-Operation, die insgesamt 4 Stunden und 42 Minuten dauerte, wurde der Mandant auf dem Rücken liegend operiert. Der OP-Tisch war mit einer Gelauflage versehen. Zusätzlich hatten die Ärzte eine Knie-Rolle unter die leicht gebeugten Kniegelenke gelegt, um Lagerungsschäden zu vermeiden. Die geplante OP-Zeit betrug laut OP-Meldung 240 Minuten.

Ich hatte den Ärzten vorgeworfen, den Mandanten fehlerhaft auf dem Rücken gelagert zu haben, so dass sich an beiden Unterschenkeln wegen der langen Operationszeit ein Kompartmentsyndrom ausbilden konnte. Ein Kompartmentsyndrom entsteht, wenn durch Schwellung und/oder Einblutungen der um den Knochen liegenden Weichteile der Druck in einer Muskelloge so stark erhöht wird, dass der Abstrom aus den Venen nicht mehr gewährleistet ist. Durch den mangelnden Abfluss des venösen Blutes wird der auf die Muskeln einwirkende Druck weiter erhöht. Bei ordnungsgemäßer Lagerung sei ein Kompartmentsyndrom beider Unterschenkel bei einem sportlichen und jungen Patienten ausgeschlossen.

Alle Sachverständigen waren sich einig, dass der Patient richtig auf dem OP-Tisch gelagert worden war. Ob die Knie-Rolle falsch unter den Kniekehlen lag, lasse sich nicht nachweisen. Der Patient sei zusätzlich durch einen Gurt auf dem OP-Tisch gegen Verrutschen gesichert. Die Gurte würden oberhalb des Beckenrings und im Bereich der Oberschenkel angebracht.

Allerdings: Es habe es keinen Grund gegeben, nach Beginn der Operation dem Patienten ein blutdrucksenkendes Mittel zu geben, weil sich seine Blutdruckwerte nach anfänglicher Erhöhung wieder normalisiert hätten. Eine Indikation für das Absenken des Blutdrucks sei nicht dokumentiert. Eine Hypotension (Absenkung des Blutdrucks) ohne rechtfertigende Indikation sei grob fehlerhaft gewesen. Das Absenken des Blutdruckes sei mit erheblichen Risiken behaftet. Es sei nicht richtig gewesen, den niedrigen mittleren arteriellen Druck über einen Zeitraum von 40 Minuten zu tolerieren, weil dieser Umstand bei der Entstehung des Kompartmentsyndroms eine Rolle gespielt habe. Der konkrete Verursachungsanteil des abgesenkten Blutdrucks an dem Kompartmentsyndrom sei aber nicht sicher zu benennen.

Der Operateur hatte behauptet: Die Blutdrucksenkung hätte vorgenommen werden müssen, weil der Kieferorthopäde bei der Operation die Absenkung wegen einer vermehrten Blutung im OP-Bereich gewünscht habe. Eine andere Notwendigkeit, den Blutdruck zu senken, habe es nicht gegeben.

Da diese Tatsache nicht dokumentiert war, habe ich mich mit dem Krankenhaus auf eine Zahlung von 7.500 Euro zur endgültigen Erledigung geeinigt.

(LG Bochum, Vergleich vom 23.01.2019, AZ: I-6 O 366/14)

Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht

 

 
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