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Herzinfarkt nicht erkannt: 5.000 Euro

16.01.2017

Die 1944 geborene Rentnerin klagte im Januar 2014 über starke, brennende einschießende Schmerzen von der linken Schulter in den linken Arm. Der Hausarzt diagnostizierte eine Verspannung der Brustwirbelsäule. Da sich der Zustand im Laufe des Tages verschlechterte und sich die Schmerzen steigerten, rief der Ehemann am selben Tage gegen 23.00 Uhr den Notruf an. Der Notarzt sichtete die Blutdruckergebnisse und empfahl die Verabreichung von "Nitro". Da sich nach 10 Minuten eine Blutdrucksenkung darstellte, empfahl er, am nächsten Tag den Hausarzt aufzusuchen.

Festgestellt hatte er bei seinem Eintreffen einen Blutdruck von RR 214/103 bei einer Pulsfrequenz von 95. Er dokumentierte beim Aufstehen vom Sofa einen einschießenden, brennenden Schmerz in beide Schultern und den linken Arm. Nachdem er Dormicum 5 mg und Bayotensin akut 5 mg verabreicht hatte, teilte er mit, die Patientin werde jetzt schlafen und er verließ die Wohnung. Nach dem Notarzteinsatz kam es zu weiteren starken einschießenden Schmerzen von der linken Schulter bis in den linken Arm, zu einem massiven Engegefühl und heftigem Brennen in der Brust mit Atemnot.

Eine Stunde nach dem ersten Notarzteinsatz rief der Ehemann erneut den Rettungswagen. Bei Eintreffen desselben Notarztes war die Ehefrau asystol. Unter Reanimationsbedingungen wurde sie eine Stunde später dem Krankenhaus zugeführt, wo sie kurze Zeit später verstarb. Das von der Staatsanwaltschaft Bochum erstellte Obduktionsgutachten kam zu dem Ergebnis, dass die Patientin an einer deutlichen Herzvergrößerung und einer hochgradig fortgeschrittenen allgemeinen Arteriosklerose gelitten habe. Es habe sich ein Blutgerinnsel im rechten umlaufenden Ast des Herzens gebildet, welches den Tod verursacht habe.

Der gerichtliche Sachverständige hatte bestätigt: Bereits die Anamnese und die körperliche Untersuchung des Notarztes hätten nicht den Leitlinien für den Rettungsdienst entsprochen. Vorerkrankungen und Risikofaktoren seien nicht dokumentiert worden. Es existierten keine Angaben zur Prämedikation. Die Verabreichung von Dormicum sei nicht indiziert und im Protokoll nicht dokumentiert worden. Die Gabe von 5 mg Bayotensin sei wegen der klinischen Hinweise auf eine Angina pectoris kontraindiziert gewesen. Bereits beim ersten Notarzteinsatz hätte eine kardiale Genese in Betracht gezogen werden müssen. Typisch für das Vorliegen eines akuten Koronarsyndroms (AKS) sei die Angina pectoris. Es habe auch der geforderte retrosternale Schmerz (ausstrahlend in Schulter, Arm, Unterkiefer, Epigastrium und Rücken) laut Einsatzprotokoll vorgelegen.

Schon beim ersten Einsatz hätte die Patientin umgehend in eine stationäre Einrichtung verbracht werden müssen, um dort von einem qualifizierten Arzt behandelt werden zu können. Entscheidend sei: Die Schmerzlinderung nach Nitro-Spray sei ein deutlicher Hinweis auf eine kardiale Genese gewesen. Zur Vervollständigung der Diagnostik hätte vor Ort ein 12-Kanal-Elektrokardiogramm abgeleitet werden müssen. Dieses habe der Notarzt grob behandlungsfehlerhaft unterlassen.

Wäre die Patientin schon beim ersten Einsatz zu einer Herzkatheteruntersuchung gebracht worden, wäre es nicht gänzlich ausgeschlossen bzw. nicht äußerst unwahrscheinlich gewesen, dass sie überlebt hätte. Wann der Infarkt seinen Ursprung gehabt habe, könne er allerdings anhand der Schilderungen und der Behandlungsunterlagen nicht genau feststellen.

Da es sich um eine fehlerhafte Behandlung durch einen Notarzt handelte, war der Kreis gemäß § 6 Abs. 1 Rettungsgesetz Nordrhein-Westfalen (RettG NW) in Haftung zu nehmen. Zur Abgeltung der Ansprüche für die standesgemäße Beerdigung haben sich die Parteien von 5.000 Euro zur endgültigen Erledigung geeinigt.

(Landgericht Bochum, Vergleichsbeschluss vom 17.08.2016, AZ: 6 O 337/14)

Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht

 

 
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