Sachverständigen-Regress: Verletzung der Hinweispflicht durch das Gericht
17.05.2017
Der 1952 geborene Angestellte hatte von dem Arzt wegen vermeintlich fehlerhafter Gutachtenerstattung die Zahlung von 37.748,83 Euro zum Ausgleich materieller und immaterieller Schäden sowie die Feststellung weitergehender Ersatzpflicht begehrt. Er hatte im Jahre 2006 eine Umstellungsosteotomie am Knie in einem Krankenhaus durchführen lassen. Wegen vermeintlicher Behandlungsfehler hatte er vor dem Landgericht Bielefeld und dem OLG Hamm vergeblich Schadensersatz verlangt. Die Ärzte hätten fehlerhaft nicht die nach dem damaligen Facharztstandard notwendige Überkorrektur seiner Tibia zu einer X-Bein-Stellung aufgrund einer Arthrose des Kniegelenkes durchgeführt. Er sei nicht darüber aufgeklärt worden, dass eine echte Behandlungsalternative einer Schlittenprothese zur Verfügung gestanden hätte. Der Kläger hatte in beiden Instanzen verloren, weil Land- und Oberlandesgericht wegen der Gutachten des Sachverständigen keinen Behandlungsfehler feststellen konnten. Dieser hatte mitgeteilt: Es gäbe keine einhellige Meinung dazu, ob bei einer Tibiakopfumstellungsosteotomie eine Neutralstellung oder eine Überkorrektur angestrebt werden müsse. Eine Aufklärung über die Möglichkeit der Schlittenprothese sei erfolgt. In dem Regressprozess behauptete der Mandant, der Sachverständige habe sei Gutachten grob fahrlässig falsch erstellt. Er legte ein Privatgutachten vor, wonach bei dem Ausgangsbefund einer Gelenksspaltbreite von nur noch 1 mm und dem vollständigen Verbrauch des Gelenkknorpels die Umstellungsosteotomie kontraindiziert gewesen sei. In der Literatur fände sich dafür kein Fall wie der des Klägers. Es hätte von vornherein eine Schlittenprothese implantiert werden müssen. Das Landgericht Bielefeld hatte die Klage mangels Schlüssigkeit abgewiesen. Der Kläger habe eine Unrichtigkeit des Gutachtens nicht substantiiert dargelegt. Er habe lediglich die Bewertung des privaten Sachverständigen wiederholt, obwohl sich mit ihr bereits das Landgericht und das Oberlandesgericht befasst hätten. Er hätte hinsichtlich der anzuwendenden Untersuchungs- und Begutachtungsmethoden die vermeintlichen Nachlässigkeiten benennen müssen. Jedenfalls habe er die Voraussetzungen für das Vorliegen grober Fahrlässigkeit nicht dargelegt. Es fehlten Umstände, die von einem objektiv schwerwiegenden Fehler auf eine grobe Fahrlässigkeit schließen ließen. Gegen dieses Urteil habe ich Berufung eingelegt: Die Bielefelder Richter hätten trotz entsprechenden Antrags verfahrensfehlerhaft keinen Hinweis auf ihre Rechtsauffassung gegeben, dass die Klage unschlüssig sei. Anderenfalls wäre zur Unrichtigkeit und grober Fehlerhaftigkeit des Gutachtens ergänzend - wie mit der Berufungsbegründung geschehen - vorgetragen worden. Das Oberlandesgericht Hamm hat entschieden: Dem Landgericht sei ein wesentlicher Verfahrensfehler unterlaufen, der gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zur Aufhebung und Zurückverweisung führe. Die Richter hätten gegen die Hinweis- und Erörterungspflicht des § 139 ZPO verstoßen. Die Kammer hätte einen Hinweis erteilen müssen, dass sie davon ausginge, die Tatsachen für die Annahme einer groben Fahrlässigkeit des Sachverständigen bei der Gutachtenerstattung seien nicht schlüssig dargelegt. Ihm hätte anschließend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden müssen. Das Gericht habe gemäß § 139 ZPO darauf hinzuwirken, dass ein Verfahrensbeteiligter sich über alle erheblichen Tatsachen vollständig erkläre. Es habe deutlich zu machen, dass es den Vortrag einer Partei als unzureichend oder nicht hinreichend substantiiert erachte (vgl. BGH, Beschluss vom 13.03.2008, AZ: I ZB 59/07, juris, Rdn. 14). Die Bielefelder Richter hätten den Kläger frühzeitig, spätestens aber in der mündlichen Verhandlung auf ihre Bedenken hinweisen müssen, was nicht geschehen sei. Ein Hinweis sei auch nicht entbehrlich, weil der Beklagte gerügt habe, die Voraussetzungen des § 839 a BGB - grob fahrlässiges bzw. vorsätzliches Verhalten des beklagten Sachverständigen - seien nicht einmal ansatzweise behauptet. Eine Verletzung des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs wegen Missachtung der richterlichen Hinweispflicht liege nur dann nicht vor, wenn die betroffene Partei durch eingehenden und offenbar von ihr auch verstandenen Vortrag der Gegenpartei zutreffend über die Sach- und Rechtslage unterrichtet gewesen sei (BGH, Beschluss vom 20.12.2007, AZ: IX ZR 207/05, juris; BGH, Beschluss vom 10.07.2012, AZ: II ZR 212/10, juris). Das genau lasse sich nicht feststellen. Der Kläger habe auf den Hinweis des Beklagten erwidert, indem er grobe Fahrlässigkeit geltend machte und diese auch näher begründete. Darüber hinaus habe der Bevollmächtigte des Klägers im Termin die Erteilung weiterer Hinweise beantragt für den Fall, dass die Kammer Schlüssigkeitsprobleme sähe. Der Klägervertreter habe danach zwar die Möglichkeit mangelnder Substantiierung gesehen, sei aber davon ausgegangen, dass sein Vortrag ausreichend gewesen sei. Es hätte den Richtern oblegen, ihre abweichende Auffassung mitzuteilen und dem Kläger Gelegenheit zur Nachbesserung seines Vortrages zu geben. Dieser Verfahrensmangel habe sich auch ausgewirkt: Der Kläger habe bereits in der ersten Instanz mit einem Privatgutachten behauptet, dass die Umstellungsosteotomie nach fachärztlichem Konsens wegen des vollkommenen Verlustes des Gelenkspaltes kontraindiziert gewesen sei. Er habe in der Berufungsbegründung behauptet, der Beklagte habe veraltete Literaturstellen verwendet, die herrschende Meinung in der Literatur und auch den Standard in bundesdeutschen Kliniken zur Überkorrektur nicht berücksichtigt. Er habe ein entscheidendes Kapitel in einer von ihm selbst herangezogenen Publikation von Prof. Dr. Lobenhoffer nicht berücksichtigt. Die im Jahr 2006 geltende Leitlinie habe ebenfalls eine Überkorrktur der Beinachse verlangt. Dieser Vortrag reiche nach Auffassung des Senates zur schlüssigen Behauptung einer unrichtigen Begutachtung aus. Die Vorwürfe würden in einer Gesamtbetrachtung auch den hinreichenden Schluss auf die objektive Schwere der Fehler des Sachverständigen und den Grad der Vorwerfbarkeit der groben Fahrlässigkeit begründen. Ob und wie wahrscheinlich die Behauptungen des Klägers tatsächlich seien, müsse durch ein weiteres Sachverständigengutachten geklärt werden. Der Kläger habe es nicht schuldhaft unterlassen, im Vorprozess den Schaden abzuwenden. Er habe Berufung eingelegt und sei in beiden Instanzen mit seinen Einwendungen auch bei den Anhörungen des beklagten Sachverständigen nicht durchgedrungen. Die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde sei nicht erfolgversprechend und nicht zumutbar gewesen. Ihm sei nicht vorzuwerfen, dass er nicht schon während des Vorprozesses das Parteigutachten eingeholt habe. (Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 17.03.2017, AZ: I-26 U 77/16) Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht
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